Die Senckenberg-Naturzeitschrift

Frühling im Lagodekhi-Urwald in Georgien

Dr. Thomas Gregor, Prof. Lenz Meierott & Prof. Dr Shamil Shetekauri
Die Senckenberg-Naturzeitschrift Band 140, Heft 3/4 2010,

"Urtümliche Baumgestalten, moosbewachsen, zusammengebrochene Baumriesen, vielfältiger Unterwuchs, teilweise undurchdringlich dicht - so stellen wir uns Urwälder vor.

Der Kaukasus, in dem der Lagodekhi-Urwald liegt gehört zu den 25 artenreichsten Regionen der Erde und wurde von Conservation Interna tional als Biodiversitäts-Hotspot ausgewählt. Grund genug für eine Reise in das Land an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, das sich auch der "Balkon Europas" nennt!

Eine Geophyten-Exkursion nach Georgien ­ eine botanischen Studienreise des Herbariums Haussknecht an der Universität Jena im März/April 2009, der wir, THOMAS GREGOR und LENZ MEIEROTT teilnahmen. Reiseleiter vor Ort war SHAMIL SHETAKAURI vom Botanischen Garten und Institut für Botanik der Universität in Tiflis, der perfekt deutsch spricht.

Für uns stand natürlich das Sammeln für die Herbarien in Frankfurt und Jena sowie das Fotografieren von Pflanzen im Mittelpunkt der Reise.

Da wir die Reise so früh im Jahr angetreten hatten, hofften wir, in den Steppengebieten eine üppige Frühlingsflora vorzufinden. Doch der Winter war hart und die Vegetation war noch nicht so weit. So nahmen wir hauptsäch­ lich die Erinnerung an den eisigen scharfen Wind mit nach Hause - unsere botanische Ausbeute blieb gering.

Lagodekhi

Für den Höhepunkt unserer Reise, den Besuch im Lagodekhi-Urwald, erwies sich die Reisezeit dagegen als ideal.

Das Gebiet liegt rund 3.000 Kilometer südöstlich von Frankfurt am Main am Südrand des Großen Kaukasus in der Provinz Kachetien an der georgisch-aserbaidschanischen Grenze.

Der Hohe Kaukasus ist hier 15-20 Kilo­ meter breit und durch tief eingeschnittene Täler zerklüftet. Das Massiv wird von Jura­ Kalken gebildet. Am Fuß der Berge, im Ort Lagodekhi, fallen jährlich etwa 1.000 Millimeter Niederschlag, an den Hängen liegen die Werte deutlich darüber. Der größte Teil des Niederschlags fällt als Schnee. Die Schneeschmelze geht mit Überschwemmun­ gen und Erosion in den Bachtälern und am Gebirgsfuß einher.

Das Vorland wird landwirtschaftlich genutzt. Die Waldstufe beginnt am Fuß des Gebirges bei 450 m ü. NN mit Hainbuchen­ Waid, der überraschenderweise oft aus gleichaltrigen Bäumen besteht. Grund sind die häufigen Überschwemmungen Die Berg­ hänge besiedelt vor allem die Orient-Buche (Fagus orientalis). Erlen, Weiden und Pappeln begleiten wie in Mitteleuropa Bäche und· kleine Flüsse. In den meisten Fällen sind uns die hier vorkommenden Gehölze aus Mittel­ europa bekannt und man muss schon zwei­ mal hinschauen, um das Besondere der Waldbilder zu erkennen Bemerkenswert sind dicke, efeu bewachsene, urtümliche Baumgestalten und die Vielzahl umgestürzter Baumriesen.

In der subalpinen Stufe (1.800 - 2200 m ü.NN) liegt die obere Waldgrenze, es bildet sich Krummholz aus, das immer wieder von Hochstaudenvegetation unterbrochen wird. In der alpinen Stufe zwischen 2.200 und 3.000 m ü. NN liegen alpine Wiesen von großem Artenreichtum: Mehr als 400 Arten sind von hier bekannt. Die subnivale Stufe mit Felsen, Geröll und Schutthalden reicht bis 3.200 m ü NN (SHETEKAURI 1998).

Anfang April bot der Wald am Gebirgsfuß einen mitteleuropäisch anmutenden Anblick. Hasel (Corylus avellana), Gundermann (6Ie­ choma hederacea), Waldmeister (Galium odoratum), Wald-Segge (Carex slivatica), Wald­ Sauerklee (Oxalis acetosella) oder die blatt­ grünlose Schuppenwurz (Lathraea squamaria) waren uns wie viele andere Arten aus mittel­ europäischen Wäldern vertraut. Manche Art, wie das Wohlriechende Veilchen (Viola odo­ rata) oder die in Parkanlagen bei uns Mas­ senbestände bildende Nickende Sternhyazinthe (ScilIa slberica), kennen wir als Zier­ pflanzen. In weiteren Fällen erkannten wir sofort die Gattung, beispielsweise bei der äußerst dekorativen Primula woronowli.

Nur selten waren uns Pflanzen fremd, so der Kreuzblütler Pachyphragma macrophylla. Zu den Besonderheiten des Gebiets gehören einige Tertiärrelikte, also Arten, die bereits vor den Eiszeiten das Gebiet besiedelten und hier am Südrand des Kaukasus überlebten Dazu zählen eine im Gebiet häufige Efeu-Art (Hedera pastuchovi). aber auch die uns aus Parkanlagen vertraute Kaukasische Flügelnuss (Pterocarya fraxinofolia).

Nach einem witeren Tertiärrelikt mussten wir lange suchen: Das krautige Berberitzen-Gewächs Gymnospermium smirnowii , im Englischen als "Lion's Leaf" bekannt, kommt nur im Nordosten Georgiens und im angrenzenden Aserbeidschan vor. Die Pflanze ist mit ihren handförmig geteilten blaugrünen Blättern, die mit etwas Phantasie an einen Löwen-Fuß erinnern, goldgelben Blüten in traubigen Blütenständen und einer Knolle mit 5-6 Zentimeter Durchmesser (GAGNIDZE et al. 2002) ausgesprochen auffällig und könnte auf dem Logo des Nationalparks durchaus dem Steinbock Konkurrenz machen. Darüber hinaus gibt es etliche endemische Pflanzen wie Schneeglöckchen-Arten und Pfingstro­ sen, beispielsweise Paeonia mlokosewitschii, die bei uns von spezialisierten Gärtnereien angeboten wird.

Die Buchenwälder der Hänge sind wegen ungünstiger Nährstoffverhältnisse vergleichsweise artenarm. Von den Frühlings­ blühern ist eigentlich nur die Zwiebel­ tragende Zahnwurz (Cardamine bulbifera, früher Dentaria bulbifera) häufig. Wo die Nährstoffe großenteils ausgewaschen sind, bildet das Gras Festuca montana dichte Bestände, ganz wie der ähnliche und bei uns häufige Wald-Schwingel (Festuca altissima). Immer wieder trifft man auf Windbruch­ flächen, die von den starken Fallwinden herrühren. Hier bilden Brombeeren nur schwer durchdringliche Dickichte. Auch in dieser Gruppe gibt es Übereinstimmung mit den mitteleuropäischen Verhältnissen. Die Brombeeren kommen in großer Formenfülle vor und man darf annehmen, dass wie bei unseren Arten apomiktische Fortpflanzung, das heißt eine Samen bildung ohne Befruchtung, erfolgt. Gelegentliche Sexualität erzeugt dann eine kaum mehr systematisch beherrschbare Formenvielfalt Die Checkliste der georgischen Pflanzen (GAGNIDZE 2005) verzeichnet 35 Rubus-Arten, allein sechs Arten haben ihren ..Iocus classicus" in der Umgebung Lagodekhis, sind also von dort beschrieben.

Lagodekhi- NationaI park

Das Gebiet steht seit 1912 zumindest teilweise unter Schutz. Heute umfasst der National­ park 178 km2 und reicht vom Gebirgsfuß bei 460 m bis in 3428 m Höhe (DARCHIASHVILI & GOKHELASHVILI 2007). Tourismus ist erst seit der georgischen Unabhängigkeit 1991 möglich, vorher war das Gebiet ein Totalreservat, in dem noch nicht einmal wissenschaftliche Forschung möglich war.

An Säugetieren sind der endemische Ost­ kaukasische Steinbock, Braunbär, Gämse, Reh, Rothirsch und Wildschwein zu nennen. Leiderwurden die Wildtiere seit 1991 unkontrol­ liert bejagt, so dass von ehemals 3.500 Steinböcken gerade noch 300 übrig sind. Auch Ornithologen kommen im Lagodekhi-Gebiet auf ihre Kosten. Neben weiter verbreiteten Arten wie Bartgeier, Gänsegeier oder Stein­ adler warten unter anderem die Endemiten Kaukasus-Birkhuhn, Kaukasisches Schnee­ huhn und Kaukasus-Zilpzalp darauf, in den Fundlisten der bis in die Hochlagen vorge­ drungenen Vogelkundler erwähnt zu werden.

Tipps für lagodekhi

Um die vielen seltenen Arten zu Gesicht zu bekommen, muss man in die alpine Zone vordringen, was aber mit einigem Aufwand verbunden ist. Man kann den Auf- und Abstieg von Lagodekhi aus in einem Tag bewältigen, was aber nicht unbedingt zu empfehlen ist. Immerhin sind 1.700 Höhenmeter zu über­ winden, die Überquerung der vielen Bäche ist manchmal schwierig und nicht immer trockenen Fußes möglich. Auf jeden Fall ist festes Schuhwerk erforderlich.

Bei einer solchen Ein-Tages-Tour bleibt für das Fotografieren und das Genießen der überwältigenden Ausblicke nicht genug Zeit. Besser ist es, über die Parkverwaltung in Lagodekhi mehrtägige Touren mit pferden in die alpine Stufe zu buchen.

Das Gebiet selbst ist leicht erreichbar und liegt etwa 160 Kilometer nordöstlich von Tiflis. Übernachtungsmöglichkeiten bestehen im Ort Lagodekhi, so zum Beispiel in Privat­ unterkünften bei WASHA PAVLlASHVILI und sei­ ner Frau NANA.

Pflanzenbestimmung

Das Pflanzenbestimmen in Georgien ist mit Schwierigkeiten verbunden, da die weitgehend vollständige vielbändige, georgische Flora sprachlich nur den Wenigsten zugänglich ist. Die Standardliste von GAGNIDZE (2005) gibt aber einen Rahmen vor und mithilfe der ins Englische übersetzten Flora der UdSSR (KOMAROV et al. 1963-2006) lassen sich die meisten Funde identifizieren. Hilfreich sind einige reich illustrierte Bücher über die Flora des I(aukasus (HOLUBEC & KRIVKA, P. 2006, SHETEKAURI & JACOBY 2009).

Ausblick

Die botanische Ausbeute der Reise wird der zeit noch bearbeitet. Mit Unterstützung eines Spezialisten, JEAN MARC TISON aus Lyon, haben wir bereits die Goldstern-Arten (Gagea) bearbeitet und konnten feststellen, dass wir einige für Georgien noch nicht bekannte Arten gesammelt haben. Die faszinierende Pflanzenwelt des Kaukasus mit ihren zahlreichen Tertialrelikten und endemischen Arten ist immer eine Reise Wert!"

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Quelle: Die Senckenberg-Naturzeitschrift Band 140, Heft 3/4 2010,
Verfasser : Dr. T. Gregor, Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg, Prof. Dr. L. Meierott, Prof. Dr. S. Shetekauri

Baumarten des Lagodekhi-Urwaldes

  • Acer campestre
  • Acer laetum
  • Acer platanoides
  • Acer velutlinum
  • Alnus barbata
  • Carpinus caucasica
  • Carpinus ori/entalis
  • Castanea sativa
  • Corylus avellana
  • Corylus Iberica
  • Fagus orientalis
  • Fraxinus excelsior
  • Populus canescens
  • Populus nigra
  • Prunus avium
  • Quercus iberica
  • Quercus pedunculiflora
  • Salix alba
  • Salix caprea
  • Salix caucasica
  • Tilia begoniifolia

Typische Arten der subalpinen Stufe

  • Acer trautvetteri
  • Aconitum nasutum
  • Betula litwinowii
  • Chaerophyllum maculatum
  • Delphinium speciosum
  • Empetrum hermaphroditum
  • Fagus orientalis
  • Heracleum sosnowsky
  • Inula helenium
  • Ligusticum alatum
  • Lonicera caucasica
  • Quercus macranthera
  • Rhododendron caucasicum
  • Rhododendron luteum
  • Ribes biebersteinii
  • Rumex alpinus
  • Salix caprea
  • Senecio rhombifolius
  • Sorbus caucasigena
  • Symphytum asperum
  • Vaccimum myrtillus
  • Viburnum lantana

Frühlingsblüher, Farne und Tertiärrelikte (T) im Lagodekhi-Urwald

  • Ajuga reptans
  • Alnus barbata (T)
  • Anemone caucasica
  • Anemone ranunculoides
  • Arum albispathum
  • Asplenium trichomanes
  • Brunnera macrophylla
  • Cardamine impatiens
  • Carex digitata
  • Carex sylvatica
  • Cornus mas
  • Corydalis caucasica
  • Corydalis marschalliana
  • Corylus avellana
  • Dentaria bulbifera
  • Diospyros lotus (T)
  • Dryopteris filix-mas
  • Galanthus ketzkhoveli
  • Galanthus lagodechianus
  • Galium odoratum
  • Gentiana lagodechiana
  • Glechoma hederacea
  • Gymnospermium smirnowili (T)
  • Hedera pastuchovii (T)
  • Lathraea Squamaria
  • Luzula pilosa
  • Moehringia trinervia
  • Myosotis sparsiflora
  • Oxalis aceloseIla
  • Pachyphragma macrophylla
  • Paeonia lagodechiana
  • Paeonia mlokosewitschii
  • Philadelphus caucascus (T)
  • Poa nemoralis
  • Polypodium vulgare
  • Polystichum aculeatum
  • Ptentilla micrantha
  • Primula juliae
  • Primula macrocalyx
  • Primula woronowii
  • Pterocarya franxinifolia (T)
  • Salvia glutinosa
  • Scilla siberica
  • Stellaria neglecta
  • Veronica filiformis
  • Viola odorata
  • Viola reichenbachiana

Quelle: Die Senckenberg-Naturzeitschrift Band 140, Heft 3/4 2010,

Verfasser

Dr. T. Gregor, Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg, Prof. Dr. L. Meierott, Prof. Dr. S. Shetekauri

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